18.01.2016: Filmreihe „Wohnen in der Krise/Kämpfe um Wohnraum“ – The Pruitt-Igoe Myth

The Pruitt-Igoe Myth, 2011, 79min
Montag, 18.01.2016, 20h, in der Zülpi290

Ein Auszug aus Wolkenkucksheim (von 1997) zum Pruitt-Igoe Großprojekt des öffentlichen Wohnungsbaus in St. Louis. Der Film The Pruitt-Igoe Myth (2011) greift einige der Aussagen des Artikels auf, ausgehend von der noch immer existierenden Community ehemaliger Bewohner*innen, die sich bis heute regelmäßig treffen. Im Film beschreiben Sie aus ihrer Sicht das Scheitern des Wohnungsbauprojekts und ihre Aktionen, die sie zu dessen Erhalt durchführten:

Pruitt-Igoe (1950-54) war das vierte Großprojekt des öffentlichen Wohnungsbaus in St. Louis, das im Süden der Stadt, inmitten eines heruntergekommenen Quartiers, errichtet wurde. Die von Hellmuth, Yamasaki und Leinweber – die Architekturfirma avancierte zu einer der größten in den USA – entworfenen 33 identischen Wohnskulpturen beinhalteten in ihren 11 Geschossen insgesamt 2780 Wohnungen.

Das Projekt war bei der Bevölkerung nie beliebt: Zu Beginn der sechziger Jahre waren 90 % der Wohnungen belegt, in den folgenden zehn Jahren sank die Rate jedoch auf ein Drittel ab. War in den umgebenden Slums der soziale Friede ohnehin gefährdet, brachten hier zusätzlich die hohe Bewohnerdichte, die unzugängliche Architektur und die schlechte Verwaltung das Projekt zum Scheitern. Pruitt-Igoe, daß einen Beitrag zur Sanierung der Stadt leisten sollte, verwandelte sich selbst in einen ‘horizontalen Slum’.

Die hoch über die heruntergekommene Nachbarschaft ragenden Gebäude standen in schroffem Gegensatz zu der benachbarten Bebauung. Ihre hohe Bewohnerdichte, sie übertraf die frühere Bebauung um das zehnfache, war nur logische Folge des katastrophalen städtebaulichen Programms: Freiräumen der Fläche (slum clearence) und Konzentration der unliebsamen Slum- Bewohner auf kleinen Arealen (public housing).

Die ehrgeizige Ausrichtung der Architektur war angesichts der Bewohner, vollständig verfehlt: Yamasaki lieferte, anstatt herkömmliche Apartmenthäuser zu konzipieren, mit dem Entwurf zugleich ein neues Modell des öffentlichen Raumes: sog. ‘horizontale Nachbarschaften’. In jedem dritten Geschoß war ein verglaster Laubengang vorgesehen, der den Bewohnern Gelegenheit für soziales Miteinander bieten sollte; ‘gesichert’ wurde die Akzeptanz der in die Höhe verlegten Straße, indem der Aufzug (es gab nur einen pro Gebäude!) ausschließlich diese Laubengänge bediente. Der Rest des Weges mußte in unbelichteten Treppenhäusern zurückgelegt werden, die sich aufgrund von Vandalismus und Kriminalität schnell als Bedrohung herausstellten.

Die schwierige Kompetenzverteilung zwischen Staat und Stadt führte zu einer unzureichenden Verwaltung. Dabei zeigte sich St. Louis weniger an Pruitt-Igoe, als vielmehr an den für sie profitableren Flächensanierungen interessiert. Zwar sollten die Mieteinnahmen die Unterhaltskosten decken, doch reichte das Geld aufgrund der Unterbelegung des Projekts nicht aus. Die Stadt weigerte sich z.B., die Müllbeseitigung auf dem Gelände vorzunehmen, indem sie die Wege einfach zu Privatstraßen erklärte, wodurch der weiteren Verwahrlosung Vorschub geleistet wurde.

Nachdem das Projekt zu scheitern drohte, wurde Pruitt-Igoe ‘Ziel der allergrößten Interventionsstrategien der 60er Jahre’(6). 1963 rückte ein Team von 45 Sozialarbeitern ein; die Universität von St. Louis unternahm Studien zur Wohnumfeldverbesserung; von der Ford Foundation wurde ein Selbstverwaltungsprojekt mit den Bewohnern initiiert; es wurde erwogen, die Gebäude auf 3-4 Geschosse abzutragen; der Staat pumpte weitere 7 Mio. Dollar in die Sanierung … Das Projekt war wirtschaftlich nicht mehr tragbar.

Mit der Sprengung von 3 Baukörpern am 15. Juli 1972 wurde das letze Experiment unternommen: Ironischerweise scheiterte auch dies, da sich der konventionelle Abriß als kostengünstiger erweisen sollte. Er erfolgte erst 4 Jahre später 1976.

Tod der Postmoderne ?

Philadelphia, Atlanta, Milwaukee, Baltimore, Charlottte, Chicago, New Orleans….Mittlerweile hat das Ministerium für Wohnungswesen und Stadtentwicklung in diesen Städten Wohnungsbaukomplexe abreißen lassen. Aber dort wie in St. Louis ist weder der ‘Tod der Modernen Architektur’, noch das vorzeitige Ende einer selbsternannten ‘Postmoderne’ festzustellen; gescheitet ist das Konzept das sozialen Wohnungsbaus in den Vereinigten Staaten in seiner seit den fünfziger Jahren praktizierten Form:

– Die sozialpolitische Auffassung, mit Wohnungen allein gesellschaftliche Risse kitten zu können, die in den amerikanischen Städten sichtbar wurden, war Illusion. Die bis 1974 hergestellten 1.4 Millionen Wohneinheiten befriedeten die Städte nicht, sie wurden vielmehr mit ihrer ‘modernen’ Architektur Ausdruck sozialer Diskriminierung.

– Die städtebauliche Strategie, die bestehende Stadt zu ersetzen, um so ihre Attraktivität zu steigern, versagte: Die Probleme verlagerten sich in dem Maß, in dem die ansässige Bevölkerung zur Manöveriermasse von Politikern und Planern wurde.

– Der Instrumentalisierung von Architektur als Produktion von Bildern eines guten Lebens, scheiterte: Daß es sich hier nicht um eine Frage ‘stilistischer Feinheiten’ handelt, ist deutlich: Auf die freigeräumten Flächen wurden, von den tatsächlichen Voraussetzungen losgelöst, (beinahe) austauschbare Visionen von Stadt projeziert.

Außerhalb der hier skizzierten Entwicklung ist ein weiterer Verlierer auszumachen: Verloren haben all diejenigen theoretischen Diskurse, die allein fixiert auf den ästhetischen Blickwinkel das oberflächliche Bild von Pruitt-Igoe ihren jeweiligen Zwecken einverleibt haben: Es hat sich gezeitgt, daß Architektur offenkundig kaum ohne ihre vielfältigen, häufig verworrenen Verbindungen mit der sie umgebende Welt begreifbar ist.

Mehr zum Weiterlesen gibts hier:

Und zu den Anfängen des Massenwohnungsbau hier: