22.02.2016: Film – Ohne Rast. Ohne Eile und Sachamanta

Ohne Rast. Ohne Eile., 2012, 60 min
Sachamanta, 2012, 50min
Montag, 22.02.2016, 20h, in der Zülpi290

Ohne Rast. Ohne Eile.
Dokumentarfilm, ARG/D, 60 min., OmU, 16:9

Buenos Aires, Dezember 2012. Die andere Seite der Weltkugel. Ein sommerheißes Weihnachten ist wenige Tage entfernt. Die Stadt erledigt ihre letzten Einkäufe. Flirrende Hitze steht über dem quirligen Verkehr. Das Bundesparlament trifft seine letzten Entscheidungen. Die Polizei döst in Gleichgültigkeit. Ganz plötzlich strömen hunderte Indigene durch die Straßenschluchten in das Stadtzentrum. Die Uralten, die Frauen, die Männer und die Kinder sperren erst die Hauptverkehrsstraße vor dem Parlament, dann alle Seitenstraßen. Aktivistinnen und Aktivisten urbaner Gruppe schließen sich den Indigenen an. Gemeinsam verwandeln sie die Straßen in fahnenbunte Tanzplätze und entsenden ihre Unterhändler in den Congreso.

Die Heimat der Indigenen liegt fast eintausend Kilometer entfernt in einem zweiten, einem anderen, einem vergessenen Argentinien ohne Wolkenkratzer, ohne Fernsehempfang und ohne Krankenhäuser. Ihre Heimat ist das staubige Buschland des Nordens. Die Heimat ist bedroht. Denn genetisch verändertes Saatgut, Herbizide und chemischer Dünger haben den Sojaanbau nun auch in den kargen nördlichen Regionen rentabel gemacht. Das Land wird zum Spekulationsobjekt von Monsanto & Co. Wie schon am Anfang der kolonialen Geschichte des Landes sollen die Indigenen wieder einmal weichen. Doch diesmal kommt alles anders als erwartet. Sie weichen nicht. Sie leisten Widerstand. Es ist ein Kampf, der zwanzig Jahre währt. Die Indigenen schlagen nicht nur die Landräuber in die Flucht, sondern sie haben damit begonnen, in ihren Territorien die Staatsgewalt durch eigene, egalitäre Strukturen zu ersetzten. Sie errichten neue Brunnen, Solaranlagen, eigene Schulen und nun ein erste Universität, die das Lehren und Lernen neu erfindet. Im Kampf gegen die multinationalen Agrarkonzerne globalisieren die Campesin@s die Hoffnung.

„Ohne Rast. Ohne Eile.“ (Dokumentarfilm, ARG/D, 60 min., OmU, 16:9) ist ein partizipatives Projekt der Kameradistinnen. Der Interviewführung zugrunde lagen zahlreiche Botschaften von Menschen aus der Bundesrepublik an die Indigenen. Sie entstanden als Reaktionen auf unseren thematisch verwandten und ersten gemeinsamen Kinofilm „Sachamanta“. | „Ohne Rast. Ohne Eile.“ gäbe es nicht ohne die finanzielle, logistische und ideelle Unterstützung im Rahmen des Projektes „Espejo“ von über einhundert Menschen, Stiftungen und kleinen Unternehmen, die im Abspann des Filmes gewürdigt werden. Aus dem Projekt „Espejo“ entstand zudem auch der Kurzfilm, Tincunacuy, der die Rückkehr des Filmes Sachamanta an seinen Handlungsort zeigt und auf dieser Seite angesehen werden kann. Die Kameradistinnen sind eine freie Assoziation für Dokumentarfilm und Dokumentarfotografie mit einem kritischen Bewusstsein für Politik und Gesellschaft.


Sachamanta
Dokumentarfilm, ARG/D, 50 min., OmU, 4:3

Der Norden Argentiniens im Jahre 2000: Auf einem Kongress beschließen die im Movimiento Campesino Santiago del Estero (MoCaSe-Via Campesina) organisierten bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften etwas bis dahin Unerhörtes. Sie werden eigene Radiostationen aufbauen und betreiben. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass die Massenmedien ihre Lebenssituation entweder ignorieren oder verfälschen.

Heute existieren bereits fünf Sender. Die Campesinos nutzen sie, um über die Weite des Landes hinweg unzensiert Botschaften auszutauschen. Die Radios schaffen ein Gemeinschaftsgefühl. Sie stärken den Kampf der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gegen Landraub und Unterdrückung. Und natürlich bringen diese Sender endlich auch die Musik der Campesinos.

Es geht darum, gehört zu werden. Viviana Uriona gibt in ihrem Dokumentarfilm den Entrechteten und Widerständigen eine Stimme. Sie liefert keine Interpretation der Erzählung, sondern gibt ihren Protagonisten die Möglichkeit – gleichlaufend zu Forderungen nach eigenen Radiostationen – nackt und ungeschützt zu sagen, was Sache ist. Im Film zerschneiden die Bauern in subversiven Akten die Stacheldrahtzäune der Konzerne, gleichzeitig fallen in den Köpfen der Zuschauer die bisher sicher geglaubten Grenzen des Machbaren. Unmögliches erscheint greifbar nah.

Der Film macht Mut, gegen die eigenen kleinen und großen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten zu kämpfen und gemeinsam die Stimme zu erheben – erscheint es zunächst auch noch so aussichtslos.

Oder, wie die alte Eloisa im Film mit einem Kopfschütteln sagt: “Mein Mann wollte schon aufgeben. Der Arme!”

Die Filmemacherin Viviana Uriona ist Mitte der 1990er Jahre aktiv im Filmclub 813 in Köln gewesen, zuletzt erarbeitete sie zahlreiche Radiofeatures. Ihr Interesse für das Radio und seine demokratische Kraft trieb sie zu Filmarbeiten in den Norden Argentiniens. Nora Wetzel (Schnitt und Dramaturgie) ist seit 2006 selbstständig in Schnitt und Regie und arbeitete zuletzt an einem Dokumentarfilm über kubanische Straßenmusiker. Die Kameradistinnen sind eine freie Assoziation für Dokumentarfilm und Dokumentarfotografie mit einem kritischen Bewusstsein für Politik und Gesellschaft.