11.04.2016: Filmabend – Wohnen in der Krise: De Stad was van ons und Damslapers

Damslapers, 2006, 13min
De Stad was van ons, 1996, 93min
Montag, 11.04.2016, 20h, in der Zülpi290

Heute Abend zeigen wir zwei Filme zur Geschichte der Amsterdamer Hausbesetzungsbewegung aka Kraakbeweging.

De Stad was van ons, mit einem (natürlich unvollständigem) Rückblick auf 25 Jahre politische Hausbesetzungen, vom Anfang der 70er Jahre bis Mitte der 90er.

Damslapers, eine Momentaufnahme einer Aktion, bei der sich die Kraakbewegung den zentralen Amsterdamer Dam zum Übernachten nahm, um gegen die bevorstehende (und 2010 umgesetzte) Gesetzesverschärfung gegen die Wiederaneignung von leerstehenden Wohnraum zu protestieren.

Dieser Filmabend ist auch eine kleine Hommage an Amsterdam und die befreundeten Projekte und Menschen, die der Zülpi290 Ende Januar eine Solibotschaft zukommen liessen. Die schöne Soli-Nachricht ist auf dem Februar-Monatsposter von Joes Garage zu sehen.

Joes Garage ist ein seit mehr als zehn Jahren besetztes autonomes soziales Zentrum im Amsterdamer Osten, in der Transvaalbuurt. Joes wurde 2005 gegründet, damals noch in der besetzten Pretoriusstraat 28 auf der anderen Straßenseite. 2008, nach der Räumung der PS28, wurde das gegenüberliegende Haus in der Pretoriusstraat 47 besetzt. Dort im Erdgeschoss wurde Joes wieder eröffnet.

In den letzten 10 Jahren hat sich Joes zu einem sozialen und politische Treffpunkt entwickelt, der offen für alle ist – für Hausbesetzer*innen und die Nachbarschaft, für Gäste von überall her, die von ihren lokalen Kämpfen und Initiativen erzählen und den Austausch dazu suchen. Der größte Teil des Hauses ist gemeinschaftlich bewohnt, und Joe’s der öffentliche Teil, das soziale Zentrum, in dem sich einzelnen Personen und Gruppen kollektiv organisieren.

In Joes wird beispielsweise zweimal in der Woche für alle gekocht, Sonntags findet ein regelmäßiger Filmabend statt und Samstag wird Joes zum Umsonstladen. Die Besetzungsbewegung aus dem Stadtteil unterstützt Menschen und Gruppen auf Wohnungssuche bei der Vorbereitung von Hausbesetzungen während der einmal wöchentlich stattfindenden Kraakspreekuur (KSU), der Besetzungssprechstunde. Neben der Unterstützung von Besetzungen recherchiert die KSU-Oost zu Leerstand, Wohnraumspekulation und Stadtteilaufwertung, dem sprichwörtlichen Ausverkauf des Viertels, der in Oost im Gange ist.

In Amsterdam finden KSU’s in verschiedenen Teilen der Stadt statt. Die KSUs unterstützen dort das Entstehen von kostenfreien Wohnraum durch Besetzungen. Studierende haben sich in einer eigenen Studenten-KSU organisiert und seit Ende 2012 schaffen Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel als „Wij zijn hier“ (Wir sind hier) Bewegung Wohnraum für sich und andere Geflüchtete. Im 10. April 2016 besetzten sie das 20. Haus, nach fast genauso vielen Räumungen. Daneben gibt es Menschen und Gruppen, die unabhängig von den KSU’s besetzen.

Besetzungen sind nicht nur die direkte und unbürokratische Umverteilung von Wohnraum an die, die ihn benötigen (ein Zitat aus Damslapers), und die gemeinschaftliche Re-Organisierung des Alltags, sondern auch eine politische Aktion, die Spekulation mit/Verwertung von Wohnraum angreift, öffentlich macht und zum Teil verhindert. Ohne die tausende von Besetzungen der letzten Jahrzehnte, wäre Amsterdam noch schneller eine Stadt geworden (die sie zu Teilen schon ist – als globale Stadt, Touristenattraktion und Wirtschaftsstandort), in der größtenteils nur noch die wohnen könnten, die es sich leisten können.

Spekulation betrifft nicht nur den billigen Kauf von Häusern, deren Wiederverkauf zu höheren Preisen – oftmals ohne irgendeine Form von Sanierung – und auf die damit spekulierten höheren Mieten oder noch höheren Preise beim erneuten Verkauf als Eigentumswohnungen, sondern auch das Verfallenlassen von Häusern – um sie irgendwann abreißen zu können, neu zu bauen, teuer zu verkaufen/zu vermieten, als Verluste abzuschreiben – oder das Zusammenlegen von einzelnen kleinen Mietwohnungen zu großen Eigentums-Appartements. Auch Wohnungsgesellschaften wie De Key oder Almere, die aus dem sozialen Wohnungsbau entstanden sind, entmieten systematisch, um alte billige Mietwohnungen in teurere Miet- oder Eigentumswohnung umzuwandeln.

Häuser und Wohnungen werden in Amsterdam seit Mitte der sechziger Jahre besetzt. Zu Hochzeiten gab es über zehntausend Menschen, die mit Besetzungen direkt auf Wohnungslosigkeit und Aufwertung der zentralen Gegenden der Stadt antworteten. Besetzungen waren dabei nie lokal eingeschränkt. Zwischen Amsterdam und Köln gab es in den 70er und 80er Jahren einen regen Austausch. Auch die Jugendzentrenbewegung der siebziger Jahre ließ sich beispielsweise von der Hausbesetzungsbewegung in den Niederlanden inspirieren. Das heutige AZ in Wuppertal wurde in den 1973 als autonomes Jugendzentrum (AJZ) besetzt, ua. inspiriert von den Erfahrungen der „Trips nach Amsterdam“ (AZ Wuppertal zum 30 jährigen Geburtstag).

2010 wurde in den Niederlanden ein neues „Kraaken und Leerstandsgesetz“ verabschiedet, das zum einen Besetzungen kriminalisiert und mit Freiheitsentzug droht, und zum anderen das Recht von Eigentümer*innen stärkte und die Hürden senkte, eine Räumung zu veranlassen. Nun ist nur noch eine Anweisung nötig, die auf einer Polizeiwache abgegeben werden kann. Die Polizei ist zudem politische Akteurin und geht pro-aktiv gegen Besetzung vor, indem sie versucht, Eigentümer*innen zu überreden, einen Räumungsantrag zu stellen.

Mit der Gesetzesänderung verpflichteten sich die Städte, dem Leerstand durch Spekulation ein Ende zu machen. Nach bisherigen Erkenntnissen ist auf dieser Seite jedoch nicht viel passiert.

Spekulativen Leerstand gibt es wie eh und je, auch in einer so dicht bewohnten Stadt wie Amsterdam mit ihrer bestehenden Wohnungsknappheit. Dazu kommen die Entmietungsstrategien von Wohnungsgesellschaften und Anti-Kraak Agenturen, die Leerstand auf ihre Art verwerten. Anti-Kraak soll Besetzungen verhindern, indem Leerstand verhältnismäßig billig an Wohnungssuchende vermietet wird, die die Aufgabe der Bewachung der Gebäude übernehmen müssen, ansonsten keinerlei Mietschutz geniessen und der Überwachung durch die Agenturen ausgesetzt sind. Eine der kapitalistischen Stilblüten, die aktiv die prekäre Situation von Menschen ausbeutet und gegen die Besetzungsbewegung richtet, ohne Wohnraum zu schaffen. Geschützt wird dadurch nur Wohneigentum ohne soziale Verwendung.

Bis 2010 war gesetzlich verankert, dass Wohnraum, der mehr als ein Jahr leer stand, wieder seinem sozialen Nutzen zugeführt werden konnte, auch ohne Einwilligung der Eigentümer*innen. Dazu mußte nur nachgewiesen werden, dass eine Wohnung oder ein Haus länger als ein Jahr leer stand und durch die Besetzung wieder genutzt wird. Daher der Slogan „ein Tisch, ein Bett, ein Stuhl“, dem Grundinventar der Wiederaneignung von Wohnraum.

Eine Räumung war danach zumindest formell erst möglich, wenn Eigentümer*innen vor Gericht einen konkreten Nutzungsplan nachweisen konnten. Die Eigentümer*innen waren in der Nachweispflicht. Trotz des oft stresslosen Ablaufs einer Hausbesetzung an sich, wurden in Amsterdam vierteljährig Räumungsrunden durchgeführt. Während einer Räumungsrunde wurde an einem Tag eine Liste von Häusern für die ein Räumungstitel vorlag, von einem Räumkommando nach und nach geräumt.

Durch die jahrzehntelange Arbeit der Besetzungsbewegung entwickelte sich eine eigene Besetzungskultur in der Stadt: Besetzungen werden oft tagsüber am Sonntags durchgeführt; vom Treffpunkt radeln alle zum Haus, das dann zusammen besetzt wird; nach der Besetzung wird die Polizei informiert; die taucht nach einiger Zeit mit ein paar Beamt*innen auf; eine Gruppe von Sprecher*innen übernimmt den Kontakt und führte die Polizei durchs Haus, um den Leerstand zu dokumentieren; nach der Feststellung des Leerstands durch die Polizei zieht diese wieder ab; viel Applaus der Anwesenden beendet die Aktionen und das Haus oder die Wohnung kann besichtigt werden.

Im Zuge der Gesetzesänderung 2010 wurden alleine in Amsterdam über 300 Besetzungen polizeilich geräumt. Räumungsrunden finden momentan nur noch bei Bedarf statt. Trotz Kriminalisierung der Wiederaneignung von Wohnraum durch Besetzungen wird weiterhin beinahe wöchentlich besetzt. Die Besetzungskultur hat sich den neuen Umständen angepasst, zB. wird die Polizei nicht mehr ins Haus gelassen. Ansonsten blieb vieles beim Alten.

Mittlerweile hat die Stadt Amsterdam ebenfalls eine neue lokale Leerstandsregelung eingeführt: „Keine Räumungen für Leerstand“. Diese gilt, wenn Eigentümer*innen bei einem Gerichtsverfahren nicht nachweisen können, dass sie den Leerstand nach einer Räumung beenden werden. Auch nach 2010 muss eine Räumung von der Polizei vorher schriftlich angekündigt werden, und es besteht die Möglichkeit, gerichtlich Widerspruch zu erheben. Dann wird eine Gerichtsverhandlung angesetzt, bei der über eine Räumung entschieden wird. Nichtsdestotrotz gibt es Blitzräumungen, zB. bei Besetzungen im Zentrum, bei denen die Polizei die Möglichkeit eines gerichtlichen Widerspruchs aussetzt und kurz nach der Besetzung räumt.

Auch die Amsterdamer Besetzungsbewegung hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Einige größere Besetzungen wie Bajesdorp versuchen über eine Kampagne die besetzten Häuser gemeinschaftlich zu kaufen und dem Wohnungsmarkt zu entziehen, Dafür benötigt Bajesdorp Support. Das Soweto Projekt in Amsterdam Oost, das aus der Besetzungsbewegung heraus initiiert wurde, hat Ende 2014 eine Schule von der Stadt Amsterdam gekauft, die Pieter-Nieuwlandstraat 93/95, die zu einem selbstverwalteten Wohn/Arbeits/Politikprojekt werden soll. Die seit 18 Jahren besetzte ADM Werft hingegen wehrt sich gerade erfolgreich gegen die fadenscheinigen Pläne des Besitzers und bleibt weiterhin besetzt.

Wenn ihr also mal in Amsterdam seit, macht einen Abstecher zu Joes Garage, in der Pretoriusstraat 42. Ausserdem gibts jede Menge selbstverwalteter und besetzter Projekte, die öffentliche Veranstaltungen und Räume anbieten und organisieren.

Kraken gaat door. Leerstand ist kein Zustand.


de.stad.was.van.ons

Passend zum Film gibt es auch eine schriftliche Dokumentation von 28 ehemaligen Kraaksters, die die Zeit der Amsterdamer Kraakbewegung zwischen 1975 und 1996 aus ihrer Sicht beschreiben. Zu lesen sind die Texte auf der Webseite des Amsterdamer Staatsarchief (auf niederländisch), das die Geschichte der Kraak- und Actie-Bewegung in den Niederlanden begleitet und dokumentiert. Daraus ein kleiner Ausschnitt:

Der Anfang: Nachbarschaftskämpfe 1975-1978

Pietje: Ich wollte meine eigene Wohnsituation lösen. Ich wüsste nichts von der Kraakbewegung, aber ich dachte mir: „Dieses Haus ist leer, ich such eine Wohnung. Wenn ich jetzt da reingehe, kann ich das Haus instandsetzten, denn jetzt leckt es, einige Fenster fehlen. Dann setzt ich neue Fenster ein, mach das Dach dicht und hab so meine eigenen Wohnraum geschaffen“. Das endete letztendlich in einer Räumung, nach der ich eine Gerichtsverhandlung hatte und ein einstweilige Verfügung. Ich verlor meine ganzen Sachen. So ist das, sie schmeißen deine Sachen einfach in einen Container.

Ich hatte keine politischen Motive, aber Gerechtigkeitssinn: das läuft gut und das läuft krumm. Meine politische Motivation ist später dazu gekommen, weil ich sah, dass eine ganze Menge Dinge meiner Meinung nach falsch liefen. Ich sah, dass viele Wohnungen nicht richtig genutzt wurden. Es gab verschiedene Wohnungen im Jordaan, aus denen ältere Ehepaare rausgeekelt wurden. Die Treppe vom Erdgeschoss zur ersten Etage wurde abgerissen, das Erdgeschoss wurde umgebaut und nur eine Leiter für 72 jährige Menschen hingestellt. Das wird natürlich schnell gemacht um sie raus zu kriegen. Menschen die 40 Jahre dort gewohnt haben. Oder es gab 6 Dachkammern von 6 Familien die eine Treppe benutzten. Die wurden abgerissen. Die Sachen und der alte Kram verschwanden im Container. Aus den Dachkammern wurde ein Apartment gemacht, das für 180 Gulden im Monat vermietet wurde. Die Kammern kosteten zu dieser Zeit, wir reden hier von vor 25 Jahren, 60 Gulden im Monat. Also unterstützte ich die Leute die Dachkammern zurückzufordern. Das fand ich richtig. Ich fand, dass ich den Menschen dabei helfen musste.

JoJo: Es gab zwei Arten. auf die sich das Kraken entwickelte. Auf der einen Seite gab es in den Stadtteilen aus dem 19. Jahrhundert sehr viele Häuser die leer standen und darauf warteten abgerissen zu werden. Da wurden oft ganze Strassen gleichzeitig besetzt. Auf der anderen Seite gab es am Grachtengürtel große Grachtenhäuser, die, wenn sie nicht vergrößert werden wurden, leer standen um zu spekulieren. Der Unterschied zwischen den beiden Arten war sichtbar in der Art zu leben, sich zu organisieren. Im Grachtengürtel gab es plötzlich Kraakspreekuuren, bei denen in Karten eingetragen wurde, welche Gebäude leer standen. Aus dem Haus in dem ich wohnte, haben wir einige Monate nach der Besetzung eine Nachbarschaftsversammlung organisiert. Die Versammlung war dann einmal in diesem Haus, ein anderes mal in jenem. Es wurde besprochen was los war: Schlägertrupps, Geldsammeln um Baumaterialien zu kaufen, was in den anderen Teilen der Stadt passierte. Dazu gab’s immer ein Bierchen. Das war der Anfang der Organisation im Grachtengürtel. Ich glaube, der große Unterschied zu den Nachbarschaften aus dem 19. Jahrhundert war, dass es dort viel mehr um Gemeindepolitik ging. Durch bürokratische Aufschübe blieben manchmal ganze Straßenzüge leer stehen. In den Häusern wohnten die Kraakers eher für sich in eigenen Etagen, was an und für sich kein großer Unterschied zum Wohnen in einer Mietwohnung war. Dagegen gab es im Grachtengürtel große Gebäude, in denen du die Arbeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen zusammen machen musstest. Es gab auch eine direktere Auseinandersetzung mit privaten Eigentümern.

Henk: Eigentlich wurde in der ganzen Stadt besetzt, es gab also überall Menschen in ihren besetzten Wohnungen. Meistens waren die Menschen nicht aktiv. Sie wollten dort nur wohnen und nicht verpflichtet werden, aktiv mit zu machen. Das dauerte sehr lange. Bei jedem Schritt kamen ein paar Neue dazu. Ab einem Punkt gab es in jedem Stadtteil einige Menschen, die du kanntest. Die machten dann mit, wenn etwas Großes besetzt wurde. Das war super, denn du machtest neue Sachen und wusstest nicht, die die Reaktion der Obrigkeit aussehen würde.

Das Staatsarchiv wurde 1991 in der Amsterdamer Staatsliedenbuurt gegründet (daher der Name) und zog im Mai 2000 in das Internationaal Instituut voor Sociale geschiedenis (dem Internationalen Institut für soziale Geschichte).

Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis
Cruquiusweg 31
1019 AT Amsterdam

https://socialhistory.org/en/services/visit-reading-room


Weiter Infos gibts zuhauf…

Texte zu „De Stad was van ons“

http://www.ravagedigitaal.org/1996/223/Krakers_aan_de_223.htm
http://www.iisg.nl/staatsarchief/publicaties/destad/index.php

Einige Webseiten zur niederländischen Kraakbewegung:

https://nl.squat.net (auf niederländisch)
https://indymedia.nl (auf niederländisch/englisch)
http://kraakdossier.nl (auf englisch)
https://hansfoto.wordpress.com/ (Fotos)

Projekte in Amsterdam:

Joes Garahe (Oost)
https://joesgarage.nl

Bajesdorp (Oost)
http://bajesdorp.nl

Pieter Nieuwland (Oost)
https://nieuwland.cc/en

Binnenpret (Oud-West, Vondelpark)
http://binnenpr.home.xs4all.nl/

ADM Werft (Amsterdamer Hafen)
https://adm.amsterdam

Veranstaltungen in den Niederlanden:

https://radar.squat.net/de/events/country/NL

Einige deutschsprachige Beiträge:

Podcast: Leerstand ist kein Zustand
http://igkultur.at/medien/bewegungsmelder/leerstand-ist-kein-zustand-1

Erste Erfolge für studentische Proteste in Amsterdam
http://www.heise.de/tp/artikel/44/44274/1.html

Rausschmiss per Gesetz
http://www.zeit.de/campus/2010/05/leben-dwdd