Manifest zum Film „A ditadura da Especulação“

Das ist der Biref den der Filmemacher Zé Furtado an die Erstaufführung des Kurzfilms „Ditadura da Especulação“ beim Filmfestival „Cinema Brasileiro“ 2012 in Brasilia schrieb.

Übersetzt von Indymedia Brasil

Die Diktatur der Spekulation kann besiegt werden

Brasilia, 22. September 2012

1. Brasilien geht’s gut, dankeschön! Fußball-Weltmeisterschaft 2014, Olympische Spiele 2016, das Land hört nicht auf zu wachsen! Mehr Autos, mehr Hochäuser, mehr Monokultur, mehr Wasserkraftwerke, mehr Kirchen, mehr nachhaltige Banken, mehr Filme von Globo. Und das beste daran: alles ist ökologisch, alles nachhaltig. Wir, die Zé Furtados und Zé Furtadas, sind da anderer Meinung.

2. In Brasilien entsteht eine neue Diktatur. Sie ist nicht rot oder blau. Die Farbe ist unwichtig. Wichtig ist, an der Macht zu sein, um mit dem Bagger die lokalen Kulturen, Kenntnisse und Leben platt zu machen. Schaut euch die Finanziers der Kampagnen unserer Politiker*innen an. Die Firmen die erfolgreiche politische Kampagnen finanzieren sind die selben, die auch die erfolglosen unterstützen. Die, die früher die Regierung Arrudas unterstützten, unterstützen heute die Regierung von Agnelo. Das sind vor allem Unternehmen aus dem Immobilien- und Automobilsektor. Unsere Politiker*innen bleiben Marionetten. Deshalb bestehen die Gemeinde- und Bundesräte aus Interessensblöcken der starken privat-wirtschaftlichen Bereiche: der ländliche Sektor und das Agrobusiness, der Immobiliensektor, die religiöse Sektor und so weiter. Oder hat hier irgendwer schon mal etwas vom libertären Sektor oder dem Sektor der Leute gehört? Leider existiert der nicht, sondern ein System, das Demokratie genannt wird.

3. Hier über uns seht ihr das Modell des neuen Stadions, das für die Fußballweltmeisterschaft gebaut wird. Seit 45 Jahren findet das Festival de Cinema de Brasília im ältesten Kino der Stadt statt, dem Cine Brasília, das wegen seines verdienten Ruhestands geschlossen ist. Wäre es nicht passender, wenn anstatt des Modells eines neuen Stadions ein Modell unseres neuen Kinos ausgestellt werden würde. Wäre es auch, wenn Terracap, die auch dieses Filmfestival unterstützen, nicht hinter den Stadionplänen stecken würde. Terracap ist das staatliche Immobilienunternehmen der lokalen Bezirksregierung des Distrito Federal. Terracap ist seit Jahrzehnten mit den Interessen des spekulativen Kapitals verbandelt, anstatt auf die eigentlich notwendigen wohnungspolitischen Fragen zu antworten. Brasilia ist die einzige Stadt der Weltmeisterschaft, die keine finanzielle Unterstützung durch den BNDES forderte, um ihr Stadion zu bauen. Die Bezirksregierung ist stolz darauf, dass das Geld stattdessen von Terracap kam, dank des Bau des Setor Noroeste, einem neuen Stadtteil für Millionäre, mit den teuersten Quadratmeterpreisen des Landes und gegen den ursprünglichen Plan von Lucio Costa, der sich in seiner Konzeption den Armen Bewohner*innen des Zentrums annäherte. Nun wird stattdessen dort gebaut, wo seit mehr als 40 Jahren die indigene Gemeinschaft Santuário dos Pajés lebt.

4. Die Regierung und Terracap hören hier aber nicht auf. Gentrifizierung, also die Verdrängung der armen und am wenigsten weißen Bevölkerungsteile, in der Absicht Gegenden der Stadt aufzuwerten, ist verheerend. Bewohner von Satelliten-Städten wie Ceilândia, die schon in einem Projekt aufwuchsen, das aus der Säuberung der mittellosen Familien aus dem Zentrum Brasilias entstand, werden eine zweite Vertreibung erleben. Die urbane Gleichförmigkeit schreitet durch den Bau weiterer luxuriöser Gated Communities fort. Riesige Hochhäuser umzingeln die Häuser der alten Bewohner. Dieser Prozess betrifft Sobradinho, Guará, Taguatinga, Samambaia und einige andere Orte. Institutionelle Gewalt wird durch Marginalisierung und Kriminalisierung der städtischen Peripherie in den privaten Medien weiter verstärkt, deren Hauptwerbekunden die Regierung und Immobilienunternehmen sind.

5. Wer wirkt an diesen Entscheidungsprozessen mit? In Brasilia gibt es COMPLAN – den Conselho de Planejamento Territorial e Urbano do Distrito Federal (den territorialen und urbanen Planungsausschuss des Distrito Federal ). COMPLAN besteht aus ca. 20 Beratern, die die urbane Entwicklung der Hauptstadt bestimmen. Den Vorsitz hat Agnelo, der bisher zu keinem einzigen Treffen kam und immer durch Geraldo Magela vertreten wurde. In einem angeblich demokratischen Prozess hat dieser Ausschuss eine fest definierte Zusammensetzung: Mitglieder des Immobiliensektors wurden als Vertreter der Zivilgesellschaft in den Ausschuss eingesetzt, wie zB.Adalberto Valadão, der Präsident von Soltec Engenharia und der Associação de Empreendedores do Mercado Imobiliário (dem Zusammenschluss der Unternehmer des Immobilienmarkt), oder Elson Póvoa, Präsident des Sindicato da Indústria da Construção Civil (Gewerkschaft der zivilen Bauindustrie). Dazu, natürlich, der Vertreter von Terracap, das mit den Interessen des Immobiliensektors stark verbandelt ist und durch Paulo Octávio aus der letzten Regierung repräsentiert wird, der auch unter der jetzigen Regierung im Amt ist. Inmitten dieses Szenarios und im vollen Bewusstsein der Komplexität des Versuchs, den Setor Noroeste zu bauen, zu dem heute auch noch Boden gehört, der von der Justiz beschlagnahmt wurde, beschloss COMPLAN vor ca. 2 Monaten die unverantwortliche Erweiterung des Setor Noroeste, den Noroeste 2. Die lokale Bevölkerung wurde weder gefragt ob es das ist was sie möchte, noch, ob sie es benötigt. Zudem wurden bisher weniger als 10 Prozent des ersten Bauvorhabens fertiggestellt, ohne eine*n einzige*n Bewohner*in. Die Logik hinter dieser Erweiterung ist alleinig die Logik des spekulativen Kapitals, der Diktatur der Spekulation, und der Tatsache, dass die Vorsitzenden, die Beratenden und die Dirigierenden von Terracap ihren Anteil am Gewinn bekommen werden.

6. Die Auseinandersetzungen die ihr auf der Leinwand sehen werdet, haben bei uns viele Spuren hinterlassen. Gegen uns wurden Gummiknüppel, Betäubungswaffen und Pfefferspray eingesetzt. Wir wurden gegen Stacheldraht gestoßen. Wir waren mit Baggern und Haftbefehlen konfrontiert, und bis heute haben wir gerichtliche Prozesse am Hals, die das Ziel haben sollen uns zu stoppen. Im Film werdet ihr einen Moment erleben, in dem Agnelo, in einer Kriegstaktik, 800 Polizist*innen und Hubschrauber gegen 40 Demonstrierende einsetzt, obwohl sich die Polícia Civil an diesem Tag im Streik befand. Aber keine dieser Narben ist größer als die Gewissheit, dass es doch möglich ist, die ökonomischen Kräfte, Immobilienspekulation und Apparate des Staates zu konfrontieren, die ansonsten einfach weitermachen und alle nieder trampeln, die sich ihnen in den Weg stellen. In den letzten 5 Jahren sind wir zusammengewachsen, werden jedes mal mehr. Seit ca. 2 Monaten gibt es eine richterliche Entscheidung in letzter Instanz, das Territorium der Indigenen des Santuário dos Pajés anzuerkennen, entgegen den Erwartungen der Regierung, des Marktes und den lokalen Medien, die nur deshalb am Bau interessiert waren, um mehr Werbung für Appartements schalten zu können. Diese Entscheidung wurde und wird an keinem einzigen Ort erwähnt, außer in den unabhängigen Medien.

7. Wir sind alle Zé Furtadis. Zé Furtado ist ein Freiwilliger des Centro de Mídia Independente, eine Sprecherin eines Freien Radios, eine Arbeiterin die täglich 4 volle Buse nach Samambaia nimmt, ein Filmemacher ohne Kino in dem seine Filme gezeigt werden, eine Landlose in Planaltina, ein Arbeitsloser in Estrutural, ein Catraqueiro in Paranoá, ein Honestino der UnB, eine Feministin auf den Straßen der Stadt. Zé Furtada ist der zapatistische Sub-Comandante Marcos, ihre Vertreterinnen und sozialen Massen. Massen, ja! Die wenigsten gehören zu den 1% die Eigentümer*innen der Produktionsmittel und Teil der Institutionen sind. Wir sind mehr!

8. Die Arbeit an „Diktatur der Spekulation“ begann während des Festival de Cinema de Brasília 2011, als dort der Film „Sagrada Terra Especulada: A luta contra o setor noroeste“ (Heilige spekulative Erde: der Kampf gegen den Setor Noroeste) gezeigt wurde. Dieser berichtet von den Angriffen der Firmen Brasal, João Fortes, Emplavi, JG Gontijo und GDF, die in jenem Moment gegen das Santuário dos Pajés gerichtet waren, und über die sich tausende Menschen empörten. In den Monaten nach dem Festival begannen die Auseinandersetzungen, von denen wir in diesem Film erzählen.

9. Dieser Film ist ein kollektives Werk. Ab heute steht der Film kostenlos zum Download und Teilen im Internet zur Verfügung, damit er durch alle die weitergegeben werden kann, die Interesse haben, die Informationen dazu zu verbreiten. Die Mainstream-Medien werden morgen wahrscheinlich keine einzige Zeile in ihren Nachrichten schreiben. Wir zählen auf euch. Wissen ist keine Ware, unserer Ideen sind nicht unser privates Eigentum.

Wir wünschen allen eine schöne Filmvorstellung und hoffen, dass ihr euch auflehnt.

Santuário bleibt!